Heute vor 74 Jahren, am 11. April 1945, befreiten Einheiten der 9. US-Armee die Stadt und das Strafgefängnis Wolfenbüttel. Vor Ort herrschten zu diesem Zeitpunkt teilweise chaotische Bedingungen: Kurz vor der Ankunft der amerikanischen Truppen waren die meisten Beschäftigten des Strafgefängnisses geflohen; die Gefangenen blieben sich selbst überlassen. Die Todeszahlen waren in den letzten Wochen aufgrund von Überbelegung, einer nur mangelhaften medizinischen Versorgung und dem Ausbruch einer Ruhrepidemie drastisch angestiegen.
Der Gefängnisarzt Dr. Walter Kaltenhöner, der noch am 8. April 1945 eingesetzt worden war, schilderte die Situation in einer späteren Zeugenaussage wie folgt:
„Der Gesundheitszustand der Gefangenen war erschreckend, als ich mein Amt antrat. Die meisten der Gefangenen waren halb verhungert, alle waren völlig verlaust und verfloht. Ich stellte über 60 Fälle von Lungentuberkulose fest, außerdem gab es einige hundert Ruhrkranke.“
Nach dem Einrücken der Amerikaner wurden die Zellen der etwa 1.500 Inhaftierten geöffnet, sodass sich diese frei auf dem Gelände bewegen konnten. Ehemalige Widerstands-kämpfer aus Westeuropa setzte die US-Armee als Interimsverwaltung des Gefängnisses ein. Darunter Jean-Luc Bellanger, der aus Sicht eines ehemaligen Strafgefangenen vom Augenblick der Befreiung berichtete:
„Eines Morgens (es war der 11.April 1945, ein unvergessliches Datum), ertönte die Alarmsirene. […] Was würde nun passieren, nach diesem vielversprechenden Panzeralarm? Seltsamerweise geschah erst einmal lange Zeit gar nichts. Wir waren alle in den Einzel- oder Gemeinschaftszellen eingeschlossen. […] Von meinem Tisch, auf den ich gestiegen war, blickte ich durchs Fenster, das zum Garten hin lag.
Und plötzlich erblickte ich i h n, wie er da entlang ging: ein kleiner Kerl in Khaki, ein Soldat in einer Uniform, die ich nicht kannte. Er ging schnell und verschwand im „Grauen Haus“, dem Gebäude gegenüber. […] Dann näherten sich Schritte, ich hörte das Geräusch von Schlüsseln, die in Türschlössern gedreht wurden, und schließlich öffnete sich meine Tür.“
Die Befreiung des Strafgefängnisses bedeutete jedoch keinesfalls für alle Inhaftierte das Ende ihrer Gefangenschaft: Noch am 8. April war ein Großteil der westeuropäischen „Nacht und Nebel“-Gefangenen nach Brandenburg-Görden, die zum Tode Verurteilten nach Magdeburg abtransportiert worden. Einige überlebten den Transport nicht. Auch hatten bestimmte Paragrafen über das Kriegsende hinaus Bestand. Daher blieben als “Gewohnheitsverbrecher” oder wegen homosexueller Handlungen Verurteilte weiterhin in Haft.
Zum Gedenken der Opfer des Strafgefängnisses Wolfenbüttel während der Zeit des Nationalsozialismus wird am Dienstag, 16. April 2019, 19.00 Uhr bereits zum 25. Mal der ökumenische Gottesdienst „Gegen das Vergessen“ in der St. Petrus-Kirche Wolfenbüttel, Harztorwall 2, stattfinden.
In diesem Jahr freuen wir uns zudem auf die Eröffnung des neuen Dokumentationszentrums der Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel im Spätherbst 2019.