Archiv für den Monat: Januar 2015

“Wie stellt man Recht aus?”

Am 15. und 16. Januar 2015 kamen die Mitglieder der Internationalen Expertenkommission (IEK) in der Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel zusammen, um über den derzeitigen Stand der Arbeiten im Neugestaltungsprojekt zu beraten. Gleichzeitig trafen die Kommissionsmitglieder erstmals auch den neuen Geschäftsführer der Stiftung und das neue Projektteam.

Am ersten Tag stellten wir der IEK erste Arbeitsergebnisse zur Erweiterung der Sammlung und die ersten Planungen zur Neugestaltung des Hinrichtungshauses vor. Bei der Begehung des Hinrichtungsgebäudes wurden sogleich wichtige Fragen aufgeworfen: Wie kann mit der historischen Bausubstanz des Ortes umgegangen werden? Welche Umbauarbeiten müssen und sollen durchgeführt werden, um den historischen Zustand wieder sichtbar zu machen? Was soll wo und wie vermittelt werden? Und wie erinnert man an die hingerichteten Opfer der NS-Justiz? All das bot Spielraum für anregende Diskussionen. Mit baufachlichem Wissen stand uns dabei Herr Heß vom Staatlichen Baumanagement zur Seite.

Den zweiten Tag eröffnete die Vorsitzenden der IEK, Prof. Dr. Inge Marszolek, mit einer Zusammenfassung der am Vortag kontrovers diskutierten Fragestellungen. Dies bot zugleich den Einstieg, vertiefend über das Ausstellungskonzept zu beraten. Welche Themenblöcke sollen in der neu konzipierten Gedenkstätte dargestellt werden und wie lässt sich das am besten umsetzen? Wie stellt man nun also Recht aus? Wichtige Fragen, die an diesem aufgeworfen wurden und die nun von uns mit Leben gefüllt werden wollen.

Diskussion der zukünftigen Besucher_innen-Führung durch das ehemalige Hinrichtungsgebäude, v.l.n.r.: Arnulf Heinemann, Stefan Wilbricht, Dr. Jens-Christian Wagner, Prof. Dr. Inge Marszolek. Foto: Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel / Stefan Wilbricht

 

Gedenkort
SA-Gefängnis Papestraße

Die Kuratorin Dr. Irene von Götz begleitete uns durch die Ausstellung im Berliner Gedenkort SA-Gefängnis Papestaße. Überbauungen und auffällige Texttafeln wurden in den weitgehend erhaltenen Keller­räumen des ehemaligen SA-Gefängnisses vermieden. Nur wenige prägnante historische Quellen zeichnen Haftabläufe nach, besondere Wandinschriften wie Bleistiftzeichnungen in Form von NS-Symbolen und das Porträt eines jüdischen Häftlings werden hinter Glas gesichert und mit Spots angeleuchtet – Ausstellungsgestaltung: http://www.kp-sperlich.com/.
Die SA-Feldpolizei nutzte die Kellerräume des ehemaligen Kasernengebäudes in der General-Pape-Straße von März bis Dezember 1933 als Haftstätte. Sie inhaftierte, verhörte und folterte politische Gegner_innen, Jüd_innen und andere verfolgte Gruppen. Rund 30 Personen kamen während der Haft oder in Folge ums Leben. Heute sind etwa 500 Häftlinge namentlich bekannt.
Bereits gegen Ende der 1970er Jahre machten antifaschistischen Initiativen die Geschichte des Ortes öffentlich. Mit der Gründung der Geschichtswerkstatt Papestraße zu Beginn der 1990er Jahre begann eine intensive Auseinandersetzung mit dem Ort, die in eine 2013 eröffnete Dauerausstellung mündete.

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Hörstationen im Gedenkort SA-Gefängnis Papestraße. Foto: Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel / Stefan Wilbricht

An bestimmten Orten lösen Bewegungsmelder Tondokumente mit thematischen Ortsbezügen aus. Zu hören sind Auszüge aus zeitgenössischen Haftberichten, die für die Ausstellung von Schauspieler_innen vertont wurden. Bei Gruppenführungen können die Tondokumente mobil per Bluetooth ausgelöst werden – Medien: http://www.thegreeneyl.com/work.

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Gedenkraum im ehemaligen SA-Gefängnis Papestraße. Foto: Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel / Stefan Wilbricht

In einem abgedunkelten Gedenkraum projizieren Beamer die Namen der bekannten Todesopfer durch eine ausgestanzte Metallplatte in den Raum. So entsteht eine zeitlich variable Projektion, die sich auch auf den Besucher_innen abbildet.

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Das Bildungsangebot im Gedenkort SA-Gefängnis Papestraße. Foto: Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel/ Stefan Wilbricht

Vertiefende Bildungsangebote für Jugendliche wurden gemeinsam mit dem Jugend Museum in Berlin-Schöneberg entwickelt. Bis auf einige Video-Interviews mit Zeitzeugen, Angehörigen, Anwohnern, Besuchern und Ausstellungsbeteiligten wird auf digitale Medien verzichtet. Stattdessen werden Dokumenten-Boxen eingesetzt, die mit Zitaten, Infos und Biografien angefüllt sind, Karteikarten dienen als Glossar. In einem Schaukasten können Statements hinterlassen werden, die für die nächsten Besuchergruppen sichtbar bleiben.

Ungewöhnliche Wege geht der Gedenkort auch in der Öffentlichkeitsarbeit, so ist das SA-Gefängnis ein Schauplatz in Volker Kutschers neuem Roman „Märzgefallene“.

Gedenkstätte Ahlem – Neugestaltung zwischen Gartenbau und Gestapo-Keller

Frisch zurück aus der Weihnachtspause, nutzten wir in der ersten Januarwoche die Gelegenheit, die neu konzipierte Gedenkstätte Ahlem in Hannover zu besuchen. Dort wurden wir von den Kolleg_innen mit Kaffee, Keksen und jeder Menge großartigem Input erwartet.

Die Gedenkstättenleiterin Stefanie Burmeister und Ihr Team nahmen sich viel Zeit, um von ihren Erfahrungen und Herausforderungen rund um die Neugestaltung der Ausstellung zu berichten. Da uns mit dem Um- und Rückbau des Hinrichtungsgebäudes und der Gemeinschaftszellen als historische Orte ähnliche Aufgaben ins Haus stehen, wie der Gedenkstätte Ahlem mit der Sanierung des Direktorenhauses, war der Bedarf an Rückfragen unsererseits groß. Martina Scheitenberger vom Gestaltungsbüro ikon aus Hannover begeleitete uns beim Gang durch die Ausstellung.

Sichtbarmachung der originale Wandbemalung im Treppenhaus des ehemaligen Direktorengebäudes. Foto: Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel/ Stefan Wilbricht.

Sichtbarmachung der originale Wandbemalung im Treppenhaus des ehemaligen Direktorengebäudes. Foto: Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel/ Stefan Wilbricht.

Auch die Medienkonzeption war für unser pädagogisches Team von riesigem Interesse. Der Einsatz von Medientischen und Tablets in Verbindung mit konventionellen Ausstellungsträgern und Bildungsmaterialien weckte unsere Aufmerksamkeit und lieferte eine Menge Anregungen.

Shaun Hermel, Mitarbeiter der Gedenkstätte Ahlem, führt uns in den Medientisch ein.

Shaun Hermel, Mitarbeiter der Gedenkstätte Ahlem, zeigt uns den dortigen Medientisch, Foto: Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel/ Astrid Homann.

Die Gedenkstätte Ahlem erinnert an den Ort der ehemaligen israelitischen Gartenbauschule, in der seit 1893 jüdische Mädchen und Jungen in Gartenbau und Handwerksberufen ausgebildet wurden. Sie ist damit ein Ort jüdischer Kultur und Emanzipation. Seit 1941 wurde das Schulgebäude jedoch zum Ort für nationalsozialistische Verfolgung. In der ehemaligen Gartenbauschule wurde eine Sammelstelle für die Deportationen jüdischer Bürger eingerichtet. Ab 1943 nutzten die Nationalsozialisten die ehemalige Schule als Gefängnis für Zwangsarbeiter, politische Häftlinge sowie Sinti und Roma, in dem Mord und Folter zum grausamen Alltag gehörten. Die Gedenkstätte trägt in ihrer Vermittlungsarbeit der doppelten historischen Bedeutung dieses Ortes Rechnung.